Blogger gegen Fremdenhass: Refugees welcome – Asyl im Gemüsegarten

Mein Gemüsegarten ist ein Zuwanderungsland ersten Ranges.

Meine ganz besonderen Lieblinge, die Tomaten, sind Nachfahren der einst aus Mexiko eingewanderten tomatl. Zum Glück hatten sie es damals noch leichter und es wurden ihnen keine Steine in den Weg gelegt, als sie ihre Verwandtschaft nachgeholt haben: Die vielseitig verwendbaren Paprikas, Chilis, die vielen Gerichten erst ihre richtige Würze verleihen und die säuerlichen Tomatillos, ohne die wir auf Salsa verde verzichten müssten – alle aus Mittelamerika.

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Tomatensorten: Green Sausage, Tangella, Minibel, Striped Turkish, Himbeerrose, Tumbling Tom, Gelbe von Thun, Striped Roman; Gurkensorten: Lemberger Gurke, Marketmore; Paprikasorten: Neusiedler Ideal, Purple Beauty

Ebenfalls aus Mittelamerika kommt der Hörnchenkürbis, auch Inkagurke genannt. Es gibt nicht viele dieser Art in unserem Breitengraden. Nichtsdestotrotz werden ihre Qualitäten von meinen Gartenbesuchern sehr geschätzt und rufen oft ein erstauntes „Mmmhh“ hervor.

Ein Einwanderer schafft es zumindest im Herbst auf alle Teller: der Kürbis. Auch seine Wurzeln liegen in Mittelamerika und selbstverständlich wohnt auch er hier.

Beim Zucchini wird es recht verworren: Er hat ganz zu Anfang Vorfahren aus Mexiko, dann wird die Familiengeschichte kompliziert: Es scheint einen Familienzweig in Nordamerika zu geben und einen in Südeuropa. Von welcher Linie die bei uns zugewanderten Zucchini stammen, ist umstritten. Das ist aber ohnehin egal. Denn in beinahe jedem Gemüsegarten hat zumindest ein Nachfahre Asyl bekommen.

2015-08-25_09wzDie allseits beliebten und bekannten Karotten, man sieht es ihnen nicht an, aber auch sind Einwanderer. Es gibt sie in vielen Farben: Die weißen kommen aus dem Mittelmeerraum, die gelben und violetten und rötlichen stammen gar aus dem fernen Afghanistan, einem Land, dessen Einwanderer heutzutage vielfach auf Ablehnung stoßen. Da steckt einfach Unwissenheit dahinter. Wir lieben sie doch alle, die Karotten, sie gehören zum beliebtesten Gemüse der Mitteleuropäer. Dabei sind sie nichts weiter als eine Kreuzung dieser drei Formen. Multi-Kulti mag anscheinend doch jeder.

Genauso bunt kommt der Rettich daher, es gibt rote, orange, gelbe, weiße und sogar schwarze. Ein Vorderasiate, kaum zu glauben. Wo er doch in so gut wie jedem Biergarten im Sommer mit auf den Tisch kommt.

2015-08-25_06wzEin eindeutig sehr exotischer Zuwanderer ist der Malabarspinat. Ein waschechter Inder.

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Malabarspinat

Er begeistert mit besonderen Qualitäten, man muss sie nur erkennen und fördern, so wie man das auch bei Menschen machen sollte. Bietet man ihm ein wenig Raum zum in die Höhe klettern, liefert er wahnsinnig viel Ertrag, der sich zu köstlichen Speisen verarbeiten lässt.

Ohne dass es vielen Gärtnern (und Essern) bewusst ist, haben sie mit der Gurke den personifizierten Weltenbürger in der Schüssel. Unter „Cucumis“ wird die ganze Kürbisfamilie zusammengefasst, also Kürbisse, Melonen, Zucchini und Gurken. Daher liegt die Vermutung nahe, dass auch die familiären Wurzeln der Gurke irgendwo in Mittelamerika liegen. Jedoch wurden ca. 10.000 Jahre alte Gurkensamen im Grenzgebiet zwischen Thailand und Burma gefunden. Ebenso alte Samen gibt es in Nordamerika. Und auch in Indien und Ägypten gibt es seit vielen tausend Jahren Gurken. In welche Schublade soll man also die Gurke stecken? Eine Zwickmühle für alle Dogmatiker, die dennoch begeistert zwei mal in der Woche ihren Gurkensalat oder zum Gegrillten gern mal ein Tsatsiki essen.

Aber die Bohnen, die sind soch bestimmt hier ansäßg, haben eine rein mitteleuropäische Linie? Schwer daneben, kann ich da nur sagen. Der Ursprung der Gartenbohne, der Phaesolus vulgaris, liegt in Amerika.

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Blauhilde, eine der beliebtesten Stangenbohnen

Woher das von mir geliebte Eiskraut, auch Eisperlensalat genannt, kommt? Darüber habe ich mir ehrlich noch keine Gedanken gemacht!

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Eiskraut, auch Eisperlensalat (Mesembryanthemum crystallinum)

Ich mag es einfach. Und zwar weil es so anders ist. In einer großen Schüssel mit Blattsalaten, deren Vorfahren übrigens zum Großteil aus dem Mittelmeerraum stammen, sticht es mit seinen knackigen Qualitäten besonders hervor. Sozusagen die Würze im Einheitsbrei.

Ich gewähre auch einigen anderen Geschöpfen aus dem Mittelmeergebiet Asyl hier im Garten, ganz egal, ob sie nun Wirtschaftsflüchtlinge sind oder nicht: Sie sind hier und sie bereichern mit ihren Fähigkeiten unser kulinarisches Erleben. Der vielseitige und bunte Mangold, eine Weiterzüchtung des wild an den Mittelmeerstränden wachsenden Mangolds. Der robuste Hirschhornwegerich, auch er von den Küstengebieten Südeuropas einst zu uns gekommen. Und viele, viele mehr.

Und wenn wir schon dabei sind: Einen Türken habe ich auch. Die Türkische Rauke, ein sehr freundliches Gewächs, zuverlässig, hart im Nehmen, aufregend am Gaumen.

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Türkische Rauke

Aber da ist dann Schluss, oder? Schließlich gibt es kulturelle Unterschiede, unüberbrückbare, oder?
Nein.

Vor Jahren schon kam die ostasiatische Speisechrysantheme hier in den Garten, Schlepper haben sie gebracht. Sie kam und ist geblieben. Hartnäckig. Und gar nicht mal unauffällig mit ihren gelben und weißen Blüten. Und wisst ihr was? Sie schmeckt uns, wir lieben sie inzwischen!

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Speisechrysantheme

Ein weiterer Asiat wohnt jeden Herbst bei uns: Pak Choi. Er wohnt aber nur kurz da, dann wird er ob seiner Beliebtheit einfach verschlungen.

Und ich wette, dieser Geselle aus den weiten Steppen Zentralasiens findet sich in vielen Gärten, ganz sicher aber in jeder Küche: der Knoblauch. Unabkömmlich ist er geworden hier, kaum vorzustellen ein Mitteleuropa ohne seine Würze!

Ihr merkt, in unserem Gemüsegarten wohnt ein unglaubliches Völkergemisch, dabei habe ich noch lange nicht alle Vertreter der einzelnen Nationen aufgezählt. Und wisst ihr was? Sie harmonieren gut miteinander.

Wir Gemüsegärtner schätzen sie sehr, diese Vielfalt und nehmen mit Freude, Neugier und oft auch Erstaunen ob der verborgenen Talente Neuankömmlinge in unsere Gärten auf.

Ich wünsche mir, dass die Politik genauso wie der Gaumen, die Vielfalt positiv sieht, die Talente der einzelnen zu schätzen lernt und sich nicht von der Angst vor „Magenverstimmungen“ davon abschrecken lässt, unseren „Garten Europa“ für diese Vielfalt zu öffnen.

Die Welt sollte einfach ein bisschen mehr wie ein Gemüsegarten sein.

 

Durch Anja (von ihr habe ich auch Teil eins des Titels „Blogger gegen Fremdenhass“ übernommen, weils einfach so gut passt) bin ich auf den Blogbeitrag Deutschland, was ist los mit dir? von texterella.de gestoßen.

Da hier in Österreich leider die Situation genauso schlimm ist, im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen Kinder, Frauen und alte Menschen seit Wochen auf dem nackten Boden im Freien schlafen müssen und sich Bürger massiv gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in ihren Heimatgemeinden wehren, will ich hier ein Statement abgeben für die Vielfalt und gegen die Angst vor dem vermeintlich Fremden.

 

Edit: Kurz nach der Veröffentlichung dieses Blogbeitrags wurde ich erst auf die Aktion Blogger für Flüchtlinge aufmerksam. Eine gute Möglichkeit, selber etwas beizutragen. Aus vielen kleinen Tropfen wird auch ein Meer.

6 Kommentare zu “Blogger gegen Fremdenhass: Refugees welcome – Asyl im Gemüsegarten

  1. einsiedler

    guter vergleich, gefällt mir!
    ich kann eh nicht verstehen, dass die menschen einen unsichtbaren gott verehren und eine sichtbare natur töten, ohne zu wissen, dass diese natur, die sie vernichten, dieser unsichtbare gott ist, den sie verehren.

    Antworten

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